kaukasische Sprachen

kaukasische Sprachen
kaukasische Sprachen,
 
im Bergland und im Vorland des Kaukasus gesprochene Sprachen, soweit sie nicht zu den indogermanischen (z. B. Armenisch, einige iranische Sprachen wie Ossetisch und Kurdisch), den semitischen (z. B. ein neuostaramäischer Dialekt) und den Turksprachen (Aserbaidschanisch, Karatschaiisch, Balkarisch, Kumükisch) gehören. Sie gliedern sich in drei Hauptgruppen, die wohl auf je eine Grundsprache zurückzuführen sind.
 
Allen kaukasischen Sprachen gemeinsam ist die ergativ. Konstruktion (Ergativ) der transitiven Verben, Konsonantenreichtum sowie die Anordnung der Verschlusslaute, zum Teil auch der Affrikaten in drei Reihen: stimmhafte Laute, behauchte stimmlose Laute sowie stimmlose, mit Kehlkopfverschluss artikulierte Laute (Glottokklusivlaute).
 
Die nordwestkaukasischen Sprachen haben ein nur wenig entwickeltes Kasussystem (zwei Kasus), besitzen jedoch eine polypersonale Konjugation: Durch Personalpräfixe des Verbs werden neben dem Subjekt die Objekte wieder aufgenommen, die lokalen Verhältnisse werden durch eine große Anzahl von Präfixen ausgedrückt. Die ostkaukasischen Sprachen haben dagegen ein unpersönliches Verb und eine reiche Nominalflexion, zum Teil mit mehreren Reihen lokaler Kasusformen. Zudem kennen sie eine Einteilung der Nomina in Klassen, deren Anzahl von Sprache zu Sprache verschieden ist. Die nordwest- und die ostkaukasischen Sprachen sind durch Übereinstimmungen ihres reich entwickelten Konsonantensystems verbunden; dieses weist laterale Reihen und labialisierte Reihen, eine besondere, energischer oder länger artikulierte Reihe sowie die Unterscheidung von zwei (nordwestkaukasisch drei) Artikulationsstellen der š [ʃ]- und ž[ʒ]-Laute auf. Die Nordwestgruppe hat in der Regel nur offene Silben, und ihr Vokalsystem ist phonetisch wenig entwickelt, phonologisch sogar nur zweistufig ([ə], [y]). In der Nordwestgruppe ist der Unterschied von Nomen und Verb am schwächsten markiert. Zusammensetzung einsilbiger Bedeutungsträger (na »Auge« + pe »Nase« = nape »Gesicht«) ersetzt die Ableitung; es gibt nur wenige Elemente zum Ausdruck syntaktischer Beziehungen. Dagegen verfügen die südkaukasischen Sprachen (Kartwelsprachen) über vielfache Ableitungsmöglichkeiten, was zur Ausbildung eines reichen Verbalsystems und nominaler Wortfamilien geführt hat. Sie sind flektierend und stehen typologisch zwischen den nordwestkaukasischen und den indogermanischen Sprachen.
 
Mangels eingehender etymologischer Erforschung sind bisher nur wenige gesamtkaukasische Wortgleichungen bekannt; auch die Übereinstimmungen im Sprachbau zwischen den kaukasischen Sprachen und dem Baskischen (»iberokaukasische Hypothese«) sowie einigen altkleinasiatischen Sprachen reichen nicht zum Nachweis einer genetischen Verwandtschaft aus.
 
Schriftsprachen sind heute außer dem Georgischen: Abasinisch, Abchasisch, Adygeisch, Awarisch, Darginisch, Inguschisch, Kabardinisch, Lakkisch, Lesgisch, Tabassaranisch und Tschetschenisch. Als Schriftgrundlage dient dabei meist das kyrillische Alphabet.
 
Im Zusammenhang mit der Erforschung der kaukasischen Sprachen sind u. a. Pjotr Karlowitsch von Uslar (* 1816, ✝ 1875), A. Dirr, N. S. Trubezkoj, Robert Bleichsteiner (* 1891, ✝ 1954), G. Deeters, Karl Bouda (* 1901, ✝ 1979) und Arnold Stepanowitsch Tschikobawa (* 1898, ✝ 1986) hervorgetreten.
 
 
Kaukas. Forsch., hg. v. R. Bleichsteiner (1919);
 R. Bleichsteiner: Die kaukas. Sprachgruppe, in: Anthropos, Jg. 32 (Freiburg 1937);
 A. Dirr: Einf. in das Studium der k. S. (1928, Nachdr. Leipzig 1978);
 K. Bouda: Beitr. zur kaukas. u. sibir. Sprachwiss., 4 Bde. (1937-41, Nachdr. 1966);
 
Voprosy izučenija iberijsko-kavkazkich jazykov, hg. v. E. A. Bokarev (Moskau 1961);
 G. Deeters: Die k. S., in: Hb. der Orientalistik, hg. v. B. Spuler, Abt. 1, Bd. 7 (Leiden 1963);
 A. S. Čikobava: Istorija izučenija iberijsko-kavkazkich jazykov (Tiflis 1965);
 G. A. Klimov: Die k. S. (a. d. Russ., 1969);
 
Strukturnye obščnosti kavkazkich jazykov, bearb. v. G. A. Klimov u. a. (Moskau 1978);
 G. A. Klimov u. M. E. Alekseev: Tipologija kavkazkich jazykov (Moskau 1980);
 
Sprachen Kaukasiens, hg. v. H. Fähnrich (Jena 1984);
 G. A. Klimov: Einf. in die kaukas. Sprachwiss. (a. d. Russ., 1994).
 
Zeitschriften: Caucasica, Jg. 1-11 (1924-34);
 
Ibero-Caucasica (Tiflis 1946 ff.);
 
Iberiul-Kavkasiuri enathmecnierebis celicdeuli (ebd. 1974 ff.).

Universal-Lexikon. 2012.

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